Video Arbeit.
Die Video Arbeit wurde im Rahmen des Symposiums Kunstrezeption — Strategien für zukünftiges Ausstellen im Juni 2019 realisiert in Kooperation mit dem FWF PEEK-Projekt zur kritischen Aufarbeitung der Geschichte der Mühl-Sekte [AR 568].
MATHILDA stellt in ihr zwei Videos gegenüber und untersucht an Hand ihrer die Kontinuität von Gewalt im Werk Otto Mühls.
Konzept — Ida Clay, Zarah Gutsch
Text — Elisabeth Schäfer
Gewalt entstellt das, was sie vergewaltigt, sie entreißt dem Körper, auf den sie sich richtet, seine Form und macht daraus nichts als ein Zeichen ihres Wütens. So gesehen agiert Gewalt um ihrer selbst Willen. Immer wieder jedoch wird der Zusammenhang von gewaltvoller Zerstörung und dem Freilegen einer Wahrheit sowie der Entstehung von Neuem durch gewaltsames Aufbrechen des Alten geforscht — auch in der Kunst.
Gewalt, die sich zur Wahrheit macht, ist oft von jener Wahrheit, die sich teils auch gewaltsam zeigen kann, in dem sie erschüttert, nicht zu unterscheiden. Diese Unterscheidung scheint jedoch wichtig. Gewalt um der Gewalt willen, dient allein sich selbst. Die Wahrheit hingegen, die uns zwar mitunter auch gewaltsam erschüttern kann, bleibt stets unbestimmt und offen, sie führt auf anderes hin, öffnet neue Räume, sie ist nicht Gewalt um der Gewalt willen.
Bloße Gewalt dient
nur sich selbst,
sie setzt sich als
geschlossener Block.
Die Menschen
ersticken an ihr.
L Dokumentarisches Material, das einen sogenannten Selbstdarstellungsabend der Mühl-Sekte
von 1984 zeigt. Ausschnitt aus Meine Keine Familie von Paul Robert, 2013
R Ausschnitt aus Kardinal, Otto Mühl 1967
Das erklärte Bekenntnis zur Gewalt finden wir bereits in frühen Texten Mühls. Im 1962 entstandenen Text „Die Destruktion“ können wir von einer nicht weiter ausgearbeiteten paradoxen Verbindung von „Zerstückelung“ einerseits und dem „Schöpferischen“ andererseits lesen: „Die Destruktion ist die bewusste schöpferische Zerstückelung von Körpern, Vorstellungen, Ideologien, […].“[1 Otto Mühl: Die Destruktion, 1962, Typescript, stapled 21 x 14,8 cm, mumok, in: Vienna Actionism. Art and Upheaval in 1960s’ Vienna, herausgegeben von Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien, Eva Badura-Triska, Hubert Klocker, Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln 2012, S. 78.] Mühl geht es um gewaltsames Aufbrechen. Es bleibt zu fragen, ob ihn das Freilegen einer Wahrheit interessiert. Führt Wahrheit doch immer auf anderes hin, öffnet neue Räume, lässt diese unbestimmt und offen und ist insofern gerade nicht Gewalt um der Gewalt willen.[2 Vgl. u. a. Vortrag „Über Gewalt und Wahrheit“ des französischen Philosophen Jean-Luc Nancy an der Berliner Humboldt Universität im April 2000 im Rahmen des Graduierten Kollegs „Codierung von Gewalt im medialen Wandel“] Bei Mühl hingegen lesen wir: „Mich provoziert jede glatte Fläche, sie mit intensivem Leben zu beschmutzen […] Ich zerreiße die Haut der Fläche und krieche darunter ins Intrem […] Ich verfertige keine Kunstwerke sondern Intremente. Die Menschen sollen an ihnen ersticken.“[3 Otto Mühl: Das Intrem, 1962, Typescript, stapled 21 x 14,8 cm, mumok, in: A.A.O., S. 79. Zum Begriff „Intrem/Intremente“: Wortschöpfung von Otto Mühl. Es gibt Grund anzunehmen, dass „Intrement“ sich aus „intra“ (lat. innerhalb) und dem Suffix „ment“, welches das Resultat einer Handlung, die vom wortbildenden Tätigkeitswort vorgegeben wird, zusammensetzt und daher eine Bewegung innerhalb bzw. ins Innere (des Körpers) hinein bezeichnet.]
Die erste Szene der „Aktion“ Kardinal (1967) zeigt eine junge Person, der Mühl Kopf und Gesicht zunächst einschnürt, um dann verschiedene flüssige, schmierige, staubige Substanzen an Kopf und Gesicht zu klatschen, sowie schließlich insgesamt damit zu überschütten. Diese Szene wird zusammen mit einer Sequenz aus einem Selbstdarstellungsabend in der Kommune am Friedrichshof gezeigt, in der ein Junge „in die Mitte“ geholt wird und vor allen Kommunard:innen singen bzw. Mundharmonika spielen soll. Der Junge verweigert das, worauf Mühl ihm droht, ihm ins Gesicht greift und mit den Mundwinkeln des Jungen ein Lachen „formen“ will, was nicht gelingt. Nachdem der Junge zu spielen beginnt, jedoch immer wieder weinend abbricht, überschüttet Mühl ihn mit Wasser.
Beide Szenen zeigen gerade in der Zusammenschau den Wunsch nach gewaltsamem, unbedingtem Zugriff auf den anderen Körper durch den „Künstler“ Mühl. Bloße Gewalt dient nur sich selbst, sie setzt sich als geschlossener Block. Die Menschen ersticken an ihr.
Video Arbeit.
Die Video Arbeit wurde im Rahmen des Symposiums Kunstrezeption — Strategien für zukünftiges Ausstellen im Juni 2019 realisiert in Kooperation mit dem FWF PEEK-Projekt zur kritischen Aufarbeitung der Geschichte der Mühl-Sekte [AR 568].
MATHILDA stellt in ihr zwei Videos gegenüber und untersucht an Hand ihrer die Kontinuität von Gewalt im Werk Otto Mühls.
Konzept — Ida Clay, Zarah Gutsch
Text — Elisabeth Schäfer
Gewalt entstellt das, was sie vergewaltigt, sie entreißt dem Körper, auf den sie sich richtet, seine Form und macht daraus nichts als ein Zeichen ihres Wütens. So gesehen agiert Gewalt um ihrer selbst Willen. Immer wieder jedoch wird der Zusammenhang von gewaltvoller Zerstörung und dem Freilegen einer Wahrheit sowie der Entstehung von Neuem durch gewaltsames Aufbrechen des Alten geforscht — auch in der Kunst.
Gewalt, die sich zur Wahrheit macht, ist oft von jener Wahrheit, die sich teils auch gewaltsam zeigen kann, in dem sie erschüttert, nicht zu unterscheiden. Diese Unterscheidung scheint jedoch wichtig. Gewalt um der Gewalt willen, dient allein sich selbst. Die Wahrheit hingegen, die uns zwar mitunter auch gewaltsam erschüttern kann, bleibt stets unbestimmt und offen, sie führt auf anderes hin, öffnet neue Räume, sie ist nicht Gewalt um der Gewalt willen.
Bloße Gewalt dient
nur sich selbst,
sie setzt sich als
geschlossener Block.
Die Menschen
ersticken an ihr.
L Dokumentarisches Material, das einen sogenannten Selbstdarstellungsabend
der Mühl-Sekte von 1984 zeigt.
Ausschnitt aus Meine Keine Familie von Paul Robert, 2013
R Ausschnitt aus Kardinal, Otto Mühl 1967
Das erklärte Bekenntnis zur Gewalt finden wir bereits in frühen Texten Mühls. Im 1962 entstandenen Text „Die Destruktion“ können wir von einer nicht weiter ausgearbeiteten paradoxen Verbindung von „Zerstückelung“ einerseits und dem „Schöpferischen“ andererseits lesen: „Die Destruktion ist die bewusste schöpferische Zerstückelung von Körpern, Vorstellungen, Ideologien, […].“[1 Otto Mühl: Die Destruktion, 1962, Typescript, stapled 21 x 14,8 cm, mumok, in: Vienna Actionism. Art and Upheaval in 1960s’ Vienna, herausgegeben von Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien, Eva Badura-Triska, Hubert Klocker, Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln 2012, S. 78.] Mühl geht es um gewaltsames Aufbrechen. Es bleibt zu fragen, ob ihn das Freilegen einer Wahrheit interessiert. Führt Wahrheit doch immer auf anderes hin, öffnet neue Räume, lässt diese unbestimmt und offen und ist insofern gerade nicht Gewalt um der Gewalt willen.[2 Vgl. u. a. Vortrag „Über Gewalt und Wahrheit“ des französischen Philosophen Jean-Luc Nancy an der Berliner Humboldt Universität im April 2000 im Rahmen des Graduierten Kollegs „Codierung von Gewalt im medialen Wandel“] Bei Mühl hingegen lesen wir: „Mich provoziert jede glatte Fläche, sie mit intensivem Leben zu beschmutzen […] Ich zerreiße die Haut der Fläche und krieche darunter ins Intrem […] Ich verfertige keine Kunstwerke sondern Intremente. Die Menschen sollen an ihnen ersticken.“[3 Otto Mühl: Das Intrem, 1962, Typescript, stapled 21 x 14,8 cm, mumok, in: A.A.O., S. 79. Zum Begriff „Intrem/Intremente“: Wortschöpfung von Otto Mühl. Es gibt Grund anzunehmen, dass „Intrement“ sich aus „intra“ (lat. innerhalb) und dem Suffix „ment“, welches das Resultat einer Handlung, die vom wortbildenden Tätigkeitswort vorgegeben wird, zusammensetzt und daher eine Bewegung innerhalb bzw. ins Innere (des Körpers) hinein bezeichnet.]
Die erste Szene der „Aktion“ Kardinal (1967) zeigt eine junge Person, der Mühl Kopf und Gesicht zunächst einschnürt, um dann verschiedene flüssige, schmierige, staubige Substanzen an Kopf und Gesicht zu klatschen, sowie schließlich insgesamt damit zu überschütten. Diese Szene wird zusammen mit einer Sequenz aus einem Selbstdarstellungsabend in der Kommune am Friedrichshof gezeigt, in der ein Junge „in die Mitte“ geholt wird und vor allen Kommunard:innen singen bzw. Mundharmonika spielen soll. Der Junge verweigert das, worauf Mühl ihm droht, ihm ins Gesicht greift und mit den Mundwinkeln des Jungen ein Lachen „formen“ will, was nicht gelingt. Nachdem der Junge zu spielen beginnt, jedoch immer wieder weinend abbricht, überschüttet Mühl ihn mit Wasser.
Beide Szenen zeigen gerade in der Zusammenschau den Wunsch nach gewaltsamem, unbedingtem Zugriff auf den anderen Körper durch den „Künstler“ Mühl. Bloße Gewalt dient nur sich selbst, sie setzt sich als geschlossener Block. Die Menschen ersticken an ihr.